125 Jahre Zementwerk Leimen

Von der Katastrophe zum Neustart

Nach nur 22-jähriger Existenz erfuhr 1895 das damalige Portland-Cement-Werk Heidelberg (Vorgänger von Heidelberg Materials) einen herben Rückschlag: Das im Stadtteil Bergheim gelegene Werk brannte bis auf die Grundmauern nieder.

Ursprünglich war der Gedanke, das Werk wieder am alten Standort zu errichten. Die Stadt Heidelberg verweigerte aber die Wiederinstandsetzung und kaufte das Grundstück. Als Konsequenz musste das Unternehmen, einer zeitnahen Quelle zufolge, „dem Verlangen der Stadtbehörde und Regierung nachgebend, seinen die landschaftlichen Reize von Heidelberg beeinträchtigenden Betrieb nach Leimen […] verlegen.“

Das größte Zementwerk des Kaiserreichs

Nach einer Bauzeit von nur einem Jahr und sechs Monaten war schließlich 1896 in Leimen das größte Zementwerk des gesamten Deutschen Reichs entstanden. Unter einer 485 m langen und 60 m breiten, aus Beton- und Stahlkonstruktionen gefertigten Fabrikhalle war die gesamte Maschinerie untergebracht. So konnte bei weitgehender Vermeidung von Handarbeit der Materialfluss bereits damals verstärkt automatisiert werden.

Aus dem Neuanfang in Leimen ergab sich auch ein geografischer Vorteil, denn die für die Zementproduktion benötigten Muschelkalk-Steinbrüche befanden sich nun in nächster Nähe. Durch den Einsatz gänzlich neu entwickelter Maschinen verfügte das Leimener Werk außerdem über eine enorme Produktionskapazität, welche andere Zementwerke zu dieser Zeit in den Schatten stellte. Mit Hilfe von technischen Innovationen unter dem Werksleiter und Chemiker Friedrich Schott überstand die Fabrik so zahlreiche Preiskämpfe auf dem Zementmarkt. Bedeuteten diese Krisen den Niedergang einiger Betriebe, zeigte sich der Standort Leimen hingegen widerstandsfähig und entwickelte sich zum Stammwerk des Unternehmens. 1898 konnte es so kurz nach Wiederaufbau bereits einen Zementversand von 700.000 Fass verzeichnen, was etwa 126.000 Tonnen entspricht.

Innovationsschmiede Leimen

Die fortwährende technische Evolution des Werks schuf die Ertragskraft für die folgenden Expansionsschritte. Mehrere Übernahmen, z.B. der Nürtinger Portland-Cementfabrik, M. Lude & Co. im Jahr 1899 und die Fusion mit der Mannheimer Portland-Cementfabrik 1901, waren dadurch ermöglicht worden. Innerhalb der nächsten sechs Jahre konnten darüber hinaus vier weitere Werke in den Besitz gebracht werden.

1902 leisteten die neu eingeführten Drehöfen einen großen Beitrag zu deutlich besseren Ofenwirkungsgraden, verbesserte Automatisierungsprozesse sorgten für Produktionsflüsse mit einem geringeren Bedarf an menschlicher Handarbeit. Neue Abbaumethoden, wie der Rolllochbetrieb, wurden aus dem Steinbruch Leimen in die anderen Werke exportiert.

Für einige zukünftige Führungskräfte der Zementindustrie diente der Standort Leimen besonders unter der strengen Regie der Werksleiter Friedrich Schott und Dr. Ehrhart Schott als Talentschmiede.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelang es dem Werk, seine dominante Stellung innerhalb des Markts zu halten. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs blieb der weitere Werksausbau jedoch zunächst hinter der Konkurrenz zurück. Dennoch erwies sich Leimen nach wie vor in Sachen technologischer Weiterentwicklung als zentraler Wegweiser. Besonders bei der Loseverladung und den Entstaubungssystemen für die Abgasströme zeigte sich das Werk federführend. Nachdem in den 1960er Jahren die Steinbrüche in unmittelbarer Nähe zur Fabrik aufgegeben worden waren, kamen höhere Kosten auf das Unternehmen zu. Einen nicht unerheblichen finanziellen Tribut forderte die Unterhaltung der 5,5 km langen Materialseilbahn zwischen der Fabrikhalle und dem Steinbruch in Nußloch.

Der fortwährende Aufstieg und wirtschaftliche Erfolg des Leimener Zementwerks zerbrachen daran aber nicht. Die stetige technologische Optimierung und die Einsatzbereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bildeten das robuste Rückgrat des Werks. Eine dieser Innovationen war die Verwendung einer neuen Filterungstechnik, bei welcher 99,5 % des Staubs abgeschieden werden konnten. In Leimen war damit die Zeit der von weißem Staub bedeckten Dächer vorbei. Nicht nur umwelttechnische, sondern auch beeindruckende wirtschaftliche Erfolge konnten verzeichnet werden: Bereits im Jahr 1964 versandte das Leimener Werk eine beachtliche Menge von 1 Millionen Tonnen Zement an seine Kunden. Mit wichtigen Investitionen, unter anderem in neue Silos, einen neuen Lepolofen sowie elektrische Entstaubungsanlagen, beförderte sich das Werk 1971 wieder auf den neuesten Stand der Technik.

Krisen und Herausforderungen

Hinter der eindrucksvollen Geschichte des Erfolgs von Heidelberg Materials, des wirtschaftlichen Aufstiegs und der Internationalisierung standen in besonderem Maße die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Leimen, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gemeinsam schwierige Herausforderungen bewältigen mussten. Die Erdölkrise 1973 erforderte eine zügige Anpassung an neue Gegebenheiten. Das Werk musste seine Innovationskraft erneut unter Beweis stellen. Es war eine Zeit, die neue Strategien zur Energieeinsparung forderte. Ein entsprechendes Hochdruckzerkleinerungsverfahren wurde eingeführt, welches bei der Zementmahlung den Energieaufwand um ein Fünftel reduzieren konnte. Bei der Verwendung von Abfällen als Ersatzbrennstoffe war ab 1981 das Leimener Werk eines der Vordenker.

Im Zuge dieser Kreislaufwirtschaft konnten in den 1990er Jahren 60 % des Bedarfs an Wärmeenergie aus Kunststoffresten, Altreifen, Altöl und zeitweise Tiermehl gedeckt werden. Nicht erst heute, sondern schon in den 1960er und 1970er Jahren bewies sich das Leimener Werk als Vorkämpfer auf der Ebene der Nachhaltigkeit und des Naturschutzes: Zum einen wurden bereits damals großflächige Steinbruchsgelände komplett dem Vogelschutz zur Verfügung gestellt und zum anderen neue landwirtschaftliche Nutzflächen und Naturschutzgebiete ausgewiesen, wie zum Beispiel in Nußloch.

Nach mehr als 125 Jahren ereignisreicher und bewegter Geschichte des Zementwerks Leimen hätte es 2021 Grund zum Feiern gegeben, doch waren die Ankündigung zur Einstellung des Ofenbetriebs Ende 2022 und auch die Corona-Pandemie Wermutstropfen. Die Geschichte des Standorts Leimen und seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist trotz aller Umstände noch nicht vorüber, denn einerseits beliefert das Mahlwerk weiterhin zahlreiche Kunden, andererseits bleibt diese Erfolgsgeschichte unvergessen.

Materialseilbahn

Materialseilbahn 1918. Materialseilbahn für den Kalksteintransport in das Leimener Werk, im Hintergrund Werkshäuser in der Zementwerkstraße, 1918

Arbeiter in einer Halle mit Maschinen

Dreherei 1900. Arbeiter in der Dreherei des Leimener Werks, 1900

Gruppenbild von Bergknappen in Uniform

Bergknappen in Uniform 1895. Gruppenbild von Bergknappen in Uniform und mit Fahne im Steinbruch Leimen. In der Mitte Werksleiter Friedrich Schott mit Frau Emma, um 1895

Altes Druckstück, aufgedruckt ist: Portland-Cement-Werk Heidelberg

Werk Leimen 1898. Das Leimener Werk auf dem Umschlag einer Referenzschrift, 1898